Den Auftakt zu den zentralen Gedenkveranstaltungen bildete am 21. Juni eine Feier am Walther-Rathenau-Gymnasium Berlin. Nach Begrüßungsworten der Schulleiterin Frau Solveig Knobeldorf, die auf die Beziehung der Schule zu ihrem Namenspatron hinwies, dachte Prof. Dr. Martin Sabrow über die Bedeutung des Mordes an Rathenau nach und mit Andreas Mossner begrüßte ein Urgroßneffen Walther Rathenaus die Schülerinnen und Schüler. Das Rahmenprogramm der Schüler und Schülerinnen beschäftigte sich in vielfältiger Weise mit der Person Rathenaus, so in Form einer Videocollage und einer Lesung sowie mit musikalischen und szenischen Darbietungen. Zugleich präsentierte die Schule eine Ausstellung zum Leben und Wirken ihres Namensgebers.
Zum 100. Jahrestag des Todes Walther Rathenaus fand am Vormittag des 24. Juni 2022 eine Gedenkveranstaltung am Gedenkstein statt, der nach dem Zweiten Weltkrieg zur Erinnerung an die Ermordung des deutschen Reichsaußenministers am Attentatsort in der Koenigsallee in Berlin-Grunewald errichtet worden war. Die zahlreich besuchte Veranstaltung wurde von einer Ansprache der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey, eröffnet. Im Anschluss legte sie gemeinsam mitdem Bundespräsidenten Frank-Walther Steinmeier und der durch ihre Vorsitzenden Dr. Ing. E.H. Heinz Dürr und Prof. Dr. Martin Sabrow vertretenen Walther Rathenau-Gesellschaft sowie die Schulleiterin der Walther-Rathenau-Schule, Solveig Knobelsdorf, und Andreas Mossner als Repräsentant der Familie Rathenau, Kränze am Gedenkstein nieder.
Am Nachmittag folgte die zentrale Gedenkveranstaltung der Walther Rathenau Gesellschaft im Innenhof des Deutschen Historischen Museums Unter den Linden. Nach einer Begrüßung durch dessen Präsidenten Prof. Dr. Raphael Gross und den Vorsitzenden der Walther Rathenau-Gesellschaft, Dr. Ing. E.h. Heinz Dürr, hielt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Ansprache zum 100. Todestag des deutschen Reichsaußenministers. Er bewertete den Anschlag auf Walther Rathenau im Einklang mit dem seinerzeitigen Reichspräsidenten Friedrich Ebert als eine »Bluttat gegen die deutsche Republik« und erklärte mit einem Brückenschlag in die Gegenwart: »Die größte Bedrohung für unsere freiheitliche Demokratie geht dabei weiterhin vom Rechtsextremismus aus.«
In seinem anschließenden Impulsvortrag erörterte Prof. Dr. Martin Sabrow die Frage nach der Kontinuität politischer Gewalt, die vom Bundespräsidenten in seiner Ansprache aufgeworfen worden war. Sein Vortrag leitete über zu einer abschließende Podiumsdiskussion, in deren Verlauf die beteiligten Prof. Dr. Teresa Koloma Beck (Hamburg), apl. Prof. Dr. Gideon Botsch (Potsdam), Pia Lamberty (Frankfurt/Main) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unter der Überschrift »Von Weimar nach Berlin?« Überlegungen zum Charakter antidemokratischer Gewalt in Deutschland entwickelten. Im Zentrum der Diskussion stand die Frage was der historische Vergleich von Weimar und heute in Bezug auf die Bedrohung durch rechtsextreme Gewalt leisten könne. Intensiv und kontrovers wurde diskutiert, inwiefern Überlegungen zu deren historischer Form und Funktion Anhaltspunkte für den Umgang und die Bekämpfung von Terror in der Gegenwartbereithalten.
Impulsvortrag: »Der Rathenaumord und die Frage der Gewaltkontinuität«
von Martin Sabrow (Berlin)
Podiumsdiskussion: »Von Weimar nach Berlin? Zum Charakter antidemokratischer Gewalt in Deutschland«
mit Teresa Koloma Beck (Hamburg), Gideon Botsch (Potsdam), Pia Lamberty (Frankfurt/Main) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
Am 25. Juni fand auf dem Waldfriedhof Oberschöneweide eine weitere Gedenkveranstaltung statt. Am würdig hergerichteten und von Andreas Mossner mit Aufstelltafeln zur Bezeichnung der einzelnen Ruhestätten versehenen Familiengrab erfolgten Kranzniederlegungen durch Vertreter der Walther Rathenau Gesellschaft, der Stadt Berlin, des Bezirksamtes Treptow-Köpenick und der Evangelischen Landeskirche.
Umrahmt von musikalischen Darbietungen des Evangelischen Kirchenkreises Berlin Süd-Ost würdigten Ana-Maria Trăsnea, Staatssekretärin für Engagement-, Demokratieförderung und Internationales des Landes Berlins, Oliver Igel, Bürgermeister des Bezirks Treptow-Köpenick, Hans-Georg Furian, Superintendent des evangelischen Kirchenkreises, Dr. Reinhard Schmook, Walther Rathenau Gesellschaft, und Andreas Mossner Leben und Werk Walther Rathenaus. Die zahlreich erschienenen Gäste nutzten die Gelegenheit, länger in der von Alfred Messel geschaffene und auch kunsthistorisch bemerkenswerte Grabanlage zu verweilen.
Im Anschluss an die Gedenkfeier lud die Walther Rathenau Gesellschaft in Kooperation mit dem Verein Weimarer Republik e.V. zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion in der Hochschule für Technik und Wirtschaft ein. Unter dem provokanten Titel „Von Rapallo nach Mariupol“ wurde ein Bogen von dem 1922 von Walther Rathenau unterzeichneten Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion zur aktuellen Neuausrichtung der deutschen Russlandpolitik geschlagen. Nach einem Eingangsstatement von Staatssekretärin Ana-Maria Trăsnea diskutierten Prof. Dr. Jan C. Behrends (Potsdam und Frankfurt/O.), Prof. Dr. Volkhard Knigge (Jena) und Dr. Gerd Koenen (Frankfurt am Main) unter Leitung von Prof. Dr. Martin Sabrow mit Gästen aus dem Publikum über Konflikte, Kontinuitäten und Brüche im deutsch-russischen Verhältnis seit dem frühen 20. Jahrhundert.
Den Mitschnitt der Podiumsdikussion finden Sie hier.
Den Abschluss der dreitägigen Würdigungen Walther Rathenaus bildete eine Veranstaltung in dessen einstigem Besitztum Schloss Freienwalde. In Anwesenheit von über 75 Gästen eröffnete die Kuratorin Dr. Elke Kimmel zunächst die Sonderausstellung »Deutsche Tatorte«. Anfang der 1920er Jahre verübten Rechtsterroristen, Freikorpsangehörigen und Soldaten über 300 Morde an politischen Gegnern, von denen jedoch nur ein Bruchteil gesühnt wurde. Zu den prominentesten Opfern dieser Attentate zählten die Politiker Matthias Erzberger, Philipp Scheidemann, der den Anschlag schwer verletzt überlebte, sowie Walther Rathenau. Alle drei einte ihr Einsatz für die erste deutsche Demokratie. Wie die Fotografien Holger Herschels eindrücklich dokumentieren, wirken die Tatorte 100 Jahre nach den Mordanschlägen seltsam unspektakulär. Allein die hier errichteten Gedenksteine erinnern an die mörderische Geschichte des Weimarer Rechtsterrorismus. Die Ausstellung bedeckt in Form eines großen Banners die gesamte Front des Schlosses.
Im Anschluss erfolgte die Eröffnung einer Kunstintervention in der unteren Schlossetage. Die deutsch-britische Künstlerin Sophie von Hellermann hat sich von den historischen Fotografien der Innenräume inspirieren lassen und deren damalige Ausgestaltung neu interpretiert. Ihre farbenfrohen Wand- und Deckengemälde vermitteln einen lebendigen Eindruck, wie eindrucksvoll die Räume einstmals ausgesehen haben mögen. Von Hellermanns Arbeit steht im Kontext eines internationalen »Jewish Country Houses« Projekts, dessen Ziel es ist, interessierten Betrachtern einen neuen Blick auf historischen Gebäude und deren ästhetische Gestaltung zu eröffnen, um gleichzeitig die europäischen Dimensionen dieses länderübergreifenden Erbes hervorzuheben.
Zum Abschluss präsentierte die Berliner Filmemacherin Beate Schubert erstmalig ihren neuen Dokumentarfilm »Walther Rathenau – ein jüdischer Deutscher«, der sorgfältig nachkolorierte Bilder enthält, von denen einige zum ersten Mal öffentlich gezeigt wurden. Der Nachmittag endete mit einer Buchlesung im Teehäuschen. Der Berliner Autor Gunnar Kunz las aus seinem Kriminalroman »Organisation C«, eine von fiktiven Personen getragene Geschichte über die tatsächlich existierende rechtsterroristische Geheimorganisation »Organisation Consul«, die in den frühen 1920er-Jahren nicht nur für der Ermordung Walther Rathenau verantwortlich war, sondern die Weimarer Republik als Ganzes zu beseitigen trachtete.
Im Zuge der Gedenkveranstaltungen zum 100. Todestag konnte die Ausstellung der Walther Rathenau Gedenkstätte auch um weitere originale Stücke aus dem Nachlass erweitert werden. Andreas Mossner, ein Großneffe Rathenaus, stiftete der Walther Rathenau Gesellschaft im Namen der Familie u. a. ein Paar goldene Frackknöpfe Rathenaus sowie ein Möbelarrangement, das bis zur Emigration von Rathenaus Schwester Edith in die Schweiz in dessen Villa in der Koenigsallee 65 genutzt wurde. Zur Ausstellung hinzugekommen ist des Weiteren auch die Erika-Schreibmaschine von 1934, mit der Ernst von Salomon 1946 seinen Roman »Der Fragebogen« schrieb. Der umstrittene Schriftsteller war in seiner Jugend Mitglied der rechtsterroristischen »Organisation Consul« und auch beteiligt an den Vorbereitungen des Attentats auf Walther Rathenau.
31. Juli 2022