Die Walther Rathenau-Gesamtausgabe umfasst eine insgesamt sechsbändige historisch-kritische Edition des Œuvres, das der Industrielle, Intellektuelle und Politiker Walther Rathenau in seinem knappen 55jährigen Leben geschaffen und hinterlassen hat. Neben den Schriften enthält es Reden, Briefe, Denkschriften, Diskussionsbeiträge und sonstige Stellungnahmen und dokumentiert so in einer bislang nicht verfügbaren Vollständigkeit und Genauigkeit das Denken und Handeln einer Persönlichkeit, die die deutsche Geschichte im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in besonderer Weise geprägt hat und sich gleichzeitig jeder eindeutigen Zuschreibung und Einordnung entzieht.
Eine eigene Geschichte hat auch die Edition selbst, die bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurückreicht. Ihren Ausgangspunkt bildete der Befund, dass Rathenaus gedankliche Überlieferung wie sein politisches Erbe in der Nachkriegszeit von seinen essayistischen Tagesinterventionen bis hin zum blockübergreifenden Ansatz der Verständigungspolitik weithin außer Kurs gesetzt oder gar in Vergessenheit geraten seien. […]
So verdankte sich die Inangriffnahme einer wissenschaftlichen Kriterien genügenden Gesamtausgabe denn auch dem doppelten Impetus, der wissenschaftlichen Erschließung eine gesicherte Arbeitsgrundlage zu schaffen und zugleich dem seinerzeit von Golo Mann formulierten Bedauern Rechnung zu tragen, »daß es uns an Schriftstellern vom Schlage Rathenaus neuerdings fehlt«, die die gesitige Welt über das Sammeln von Beobachtungen hinaus auch mit Gesinnung und moralischer Anstrengung zu lenken vermöchte.
Mit der tatkräftien Unterstützung der zu diesem Zweck neubegründeten WALTHER RATHENAU GESELLSCHAFT [entstanden] die ersten beiden Teile des geplanten Gesamtwerkes, nämlich zunächst […] 1977 der die drei Hauptwerke und die Gespräche Rathenaus umfassende Band II und 1983 der der Beziehung Walther Rathenaus und Maximilian Hardens gewidmete Band VI. Ein generationeller Umbruch im Kreis der Bearbeiter und mehr noch die sensationelle Entdeckung des bis dahin verschollen und verloren geglaubten Nachlasses von Rathenau im vor 1991 unzugänglichen Sonderarchiv in Moskau stellten die weiteren weitere Editionsarbeit auf eine ganz neue Grundlage, verzögerten aber auch das Erscheinen der weiteren Bände. Erst 2006 gelang es, den mit zwei Teilbänden allerdings auch besonders umfangreichen Briefband V herauszubringen. In der Zwischenzeit war das Bundesarchiv als weiterer Partner an die Seite der WALTHER RATHENAU GESELLSCHAFT getreten, um den Fortgang der Edition zu sichern. Mit dem nunmehr vorliegenden Band I (Schriften der Wilhelminischen Zeit) [wie auch dem inzwischen veröfentlichten Band III (Schriften der Kriegs- und Revolutionszeit)] zeichnet sich nun der Abschluss einer Schriftenedition ab, die die zu Unrecht in den Hintergrund getretene zeitgeschichtliche Bedeutung Walther Rathenaus hervorhebt.
Martin Sabrow/Ernst Schulin: Zur Walther Rathenau-Gesamtausgabe, in: Walther Rathenau-Gesamtausgabe. Band I. Schriften zur Wilhelminischen Zeit, hrsg. von Alexander Jaser, Düsseldorf 2015, S. 10–12.
Herausgegeben von Alexander Jaser
Düsseldorf 2015
Droste Verlag
ISBN 978-3-7700-1630-3
1624 Seiten
Der erste Band dokumentiert auf ca. 1100 Seiten die Heranbildung der mehrfach gebrochenen Sozialisation Rathenaus, die seine geistig-analytische Inspirationsquelle wurde; seine Stellung zwischen technisch avanciertem Unternehmertum und kulturkritischer literarischer Intelligenz, zwischen Judentum und Preußentum, seine Doppelrolle als Mitglied der Wilhelminischen Führungselite und als gesellschaftlicher wie politischer Außenseiter. So umfasst der erste Band Rathenaus elektrochemische und elektrotechnische Arbeiten, frühe betriebswirtschaftliche Reflexionen und Fragmente einer größeren ökonomischen Schrift sowie – als Ergebnis ausgiebiger Archivrecherchen – eine Reihe nicht oder kaum bekannter Memoranden zur Reorganisation der deutschen Elektroindustrie und Elektrizitätswirtschaft. Er enthält zugleich die zahlreichen literarischen, ästhetischen, und zeitkritischen Frühschriften, die zum großen Teil zuerst in Maximilian Hardens »Zukunft« erschienen sind. Und er gibt mit den Denkschriften zur Kolonial-, Verkehrs- und Forschungspolitik sowie den seinerzeit vielbeachteten Artikeln zur Außen-, Innen und Wirtschaftspolitik des Kaiserreiches interessante Einblicke in die Anfänge des politischen Wirkens Rathenaus. Eine ausführliche Einleitung wird Rathenaus unternehmerische Tätigkeit im Zusammenhang darstellen, seine Kultur- und Sozialphilosophie rezeptionsgeschichtlich analysieren.
Herausgegeben von Ernst Schulin
München/Heidelberg 1977
Gotthold Müller Verlag/Verlag Lambert Schneider
ISBN 978-3-7953-0501-2
980 Seiten
Der Band enthält die drei größeren, von Rathenaus selbst als Einheit verstandenen kulturphilosophischen Schriften: »Zur Kritik der Zeit« (1912) – eine Kritik des Kulturverfalls im Zeitalter der »Mechanisierung« – »Zur Mechanik des Geistes oder Vom Reich der Seele« (1913) der Versuch einer geschichtsphilosophischen Systematisierung dieser Kulturkritik – und »Von kommenden Dingen« (1917) – die durch den Weltkrieg ausgelöste Fortschreibung der Gegenwartsanalyse mit dem Ausblick auf einen künftigen Volksstaat.
»Einen über die einfache Edition weit hinausgehenden Beitrag liefert der Herausgeber Ernst Schulin durch eine fast 100 Seiten umfassende Analyse, die im wesentlichen auf die Entstehungsgeschichte und die zeitgenössische Beurteilung eingeht und dazu eine große Zahl von Rezensionen nicht nur zitiert, sondern fast ungekürzt abdruckt. Die Aufnahme der Werke Walther Rathenaus durch die Publizistik und Wissenschaft ihrer Zeit erscheint hier wie in einem Brennspiegel, gleichgültig aber treten die Richtungen dieser Publizistik und Wissenschaft .selbst hervor und die vielfältigen Verknüpfungen und Brechungen, die sie in Rathenaus Werk gefunden haben. Der vorliegende Band stellt eine mustergültige editorische Leistung dar, sowohl was die textliche Akribie wie auch die interpretatorische Durcharbeitung anbelangt. Zu rühmen ist auch die glänzende äußere Form des Buches.«
Theodor Schieder, Historische Zeitschrift
»Was fasziniert den Leser? Zunächst natürlich die Gestalt eines Mannes, der die Zeit, da er als Wirtschaftsführer zeitweilig außer Dienst gestellt ist, dazu nutzt, eine Philosophie zu entwickeln. Zum anderen aber, daß Rathenaus Texte den Kritiken seiner Bücher gegenübergestellt werden. So spiegelt sich die ganze politisch-geistige Vorstellungswelt der Jahre vordem Ersten Weltkrieg. Hören wir doch bei Rathenau sehr vertraute Töne, wie die Kritik an der modernen Ökonomie, den Zweifel am ewigen Wachstum, aber auch uns fremd berührende rassische und kriegerisch Klänge.«
Friedrich Knut, Stuttgarter Zeitung
Herausgegeben von Alexander Jaser
Düsseldorf 2017
Droste Verlag
ISBN 978-3-7700-1631-0
1960 Seiten
Walther Rathenau wurde als Organisator der deutschen Kriegswirtschaft und Kritiker der deutschen Kriegsführung und Politik im Ersten Weltkrieg zu einem der wichtigsten Akteure des geistigen Lebens in Deutschland. Gegen den Widerstand der konservativen Eliten und vor dem Hintergrund des wachsenden Antisemitismus kämpfte er für eine Friedenslösung im Kriege und diskutierte in seinen Werken Wege für eine neue politische, ökonomische und soziale Ordnung in Deutschland und Europa. Als einer der meistgelesenen politischen Autoren seiner Zeit wurde er damit immer stärker zum Feindbild, nicht nur der Rechten, sondern auch der Linken.
Der dritte Band der Walther Rathenau-Gesamtausgabe beinhaltet die Schriften Rathenaus der Jahre 1914 bis 1919 und veranschaulicht das vielschichtige und widersprüchliche geistige Ringen um Deutschlands Zukunft in den Jahren des Ersten Weltkrieges und der Revolution. Ein zweiter Teil versammelt die amtlichen Dokumente, Denkschriften, Tagebuchaufzeichnungen und politischen Briefe Rathenaus dieser Zeit – eine Quellensammlung, die die öffentliche Wirksamkeit Rathenaus und sein politisches wie wirtschaftliches Denken beleuchtet.
Herausgegeben von Martin Sabrow und Edgar Büttner
Bearbeitet von Christiane Scheidemann (Dokument und Publikationen)
und Alexander Jaser (Amtliche Briefe und Sozialisierungskomission)
Erscheint voraussichtlich 2024
In der Weimarer Republik erhielt Rathenau die von ihm lange angestrebte politische Verantwortung. Der Band dokumentiert seinen Versuch einer Verständigung mit dem Westen durch »Erfüllungspolitik«, des Ausgleichs mit der Sowjetunion im Vertrag von Rapallo sowie seine Pläne für eine wirtschaftliche Weltgemeinschaft. Er enthält die in jener Zeit heftig diskutierten programmatischen Schriften über eine Sozialisierung der deutschen Wirtschaft und einen demokratischen Umbau der Gesellschaft. Er dokumentiert ferner Rathenaus breite politische Publizistik sowie seine amtliche und halbamtliche Tätigkeit zunächst als Sachverständiger in reparationspolitischen Fragen, dann in der Zweiten Sozialisierungskommisssion und im vorläufigen Reichswirtschaftsrat sowie schließlich 1921/22 als Wiederaufbauminister und Reichsaußenminister.
Teilband 1: Briefe 1871–1913
Teilband 2: Briefe 1914–1922
Herausgegeben von Ernst Schulin, Alexander Jaser und Clemens Picht
Düsseldorf 2006
Droste Verlag
ISBN 978-3-7700-1620-4
2829 Seiten, 2 Teilbände
Die bereits 1926–1930 veröffentlichte Briefauswahl wurde von Rathenaus Mutter und Schwester mit dem Ziel herausgegeben, seine Persönlichkeit und seinen Charakter »im richtigen Licht zu zeigen«, sodass vieles gekürzt, chiffriert oder weggelassen wurde. Die neue Gesamtausgabe wird demgegenüber mit ca. 2000 Seiten in einem Doppelband den überlieferten, weitgehend noch in Archiven, Bibliotheken, Privatnachlässen und schwer zugänglichen Einzelpublikationen verstreuten Briefwechsel so vollständig wie möglich wiedergeben. Vor allein durch den Moskauer Nachlass kann so der Briefnachlass in völlig neuem Umfang dokumentiert werden. Die geschäftliche Korrespondenz sowie die amtlichen Schriftwechsel aus der Ministerzeit werden dabei erstmalig erschlossen. Darüber hinaus werden auch bisher ungedruckte Briefe an Rathenaus berücksichtigt und je nach ihrer Bedeutung in vollem Wortlaut oder als Auszug aufgenommen.
Herausgegeben von Hans Dieter Hellige
München/Heidelberg 1983
Gotthold Müller Verlag/Verlag Lambert Schneider
ISBN 978-3-7953-0505-5
1077 Seiten
»Der Herausgeber der ›Zukunft‹, Maximilian Harden, einer der berühmtesten und zugleich umstrittensten Publizisten des Kaiserreichs, war nicht nur der Entdecker und Förderer des Schriftstellers Rathenau, sondern lange Zeit auch sein nächster Freund und eine wichtige geistige Bezugsperson. Der Briefwechsel dokumentiert die Beziehung dieser beiden führenden Repräsentanten der Wilhelminischen Gesellschaft, die als Juden doch auch Bürger zweiter Klasse und kritische Außenseiter blieben. „Schnell stellt sich heraus, dass dem Leser in einem Einband zwei, wenn nicht drei Bücher geboten werden: eine sozialgeschichtlich-biographische Studie, dann 458 Briefe, zum größten Teil bisher unveröffentlicht, und schließlich, in den Briefwechsel verwoben, eine Serie von Mini-Monographien über die verschiedensten darin angeschlagenen Themen, glänzend recherchiert, zum Teil Neuland erschließend, immer informativ. Ob es um eine Darstellung des Konzentrationsprozesses in der Elektroindustrie, der Nietzsche-Rezeption, der Eulenburg-Affäre, der Problematik des Assimilationsjudentums oder der Kontroversen um die Berliner Sezession geht, das eigentliche Sujet ist die Epoche, die sich in zwei Lebensgeschichten reflektiert.«
Nicolaus Sombart, Süddeutsche Zeitung
»The Rathenau-Harden correspondence illustrates the interaction between journalism, business and politics. These letters give us many insights into some of the political ›causes célèbres‹ of pre-war Germany.«
James Joll, Times Literary Supplement
»In the Study the German biographies of the young Rathenau and of Harden are completely interwoven with a very thorough study of social history of that time.«
Otto Spear, Philosophy and History