Die Walther Rathenau Gesellschaft trauert um ihren langjährigen Vorsitzenden Dr.-Ing. E.h. Heinz Dürr.
Von 2001 bis 2022 stand Heinz Dürr unserer Vereinigung vor und amtierte damit länger als seine drei Vorgänger Theodor Eschenburg, Karl-Gustaf Ratjen und Marcus Bierich, in deren Tradition er sich stets wusste. In dieser langen Zeit führte er den Vorsitz ganz im Geist von Walther Rathenau in einer charakteristischen Verbindung von Unternehmertum und öffentlichem Engagement und immer bestrebt, die bis in die Gegenwart reichende Aktualität der Gedanken Walther Rathenaus stärker in das Bewusstsein unserer Zeit zu heben.
Heinz Dürr formte sein eigenes Bild des gemeinwohlorientierten Industriellen, der das Unternehmen als gesellschaftliche Veranstaltung versteht, in fortwährender Auseinandersetzung mit Walther Rathenaus wirtschaftlichem Denken. Immer wieder rekurrierte er in öffentlichen Einlassungen auf Rathenaus »Physiologie der Geschäfte« und erinnerte er an Rathenaus Vorreiterrolle als Verfechter einer nachhaltigen Wirtschaft.
Zugleich engagierte sich Heinz Dürr mit großer Energie auf den beiden historischen Hauptfeldern der Tätigkeit unserer Vereinigung. Als Co-Vorsitzender des Aufsichtsrats der gemeinnützigen Rathenau-Stift GmbH schuf er in zahlreichen Verhandlungen eine vertrauensvolle Beziehung zum Landkreis Märkisch Oderland und seinem Landrat Gernot Schmidt, die über alle Belastungen und finanziellen Problemlagen hinweg den Erhalt der Rathenau-Gedenkstätte in Schloss Freienwalde sicherte und den zu Anfang dieses Jahres erfolgten Übergang des Schlosses in die Trägerschaft der Michael Linckersdorff Stiftung ermöglichte.
Nicht weniger energisch bemühte sich Heinz Dürr um die Fertigstellung unseres Langzeitprojekts in Gestalt der Edition der Schriften Walther Rathenau. In vollem Bewusstsein, dass eine solche Aufgabe die Ressourcen unserer kleinen Vereinigung von Rathenau-Freunden im Grunde bei weitem übersteigt, stellte Heinz Dürr seinen Vereinsvorsitz unter das Ziel, die bei seinem Amtsantritt ins Stocken gekommene Edition möglichst zügig abzuschließen. Mit eigenem Beispiel vorangehend und mit Unterstützung befreundeter Unternehmer und privater Stiftungen und allen voran der Heinz und Heide Dürr Stiftung, gelang es Heinz Dürr immer wieder, die erheblichen finanziellen Mittel zu akquirieren, die dieses Langzeitunternehmen bis heute erfordert. Es gab in all den Jahren keine Mitgliederversammlung und keine Vorstandssitzung, die sich nicht mit dem Dauerproblem der Rathenau-Edition befasste, und es bedurfte immer wieder der für Heinz Dürr charakteristischen Mischung von Unzufriedenheit und Aufmunterung, um ungeachtet der immer neuen Verzögerungen und Terminüberschreitungen an der Edition festzuhalten.
Dem »Mut zur Lücke«, den Heinz Dürr immer wieder einforderte, konnte die Editionsarbeit nicht entsprechen, aber dass es in seiner Amtszeit dennoch gelungen ist, nach dem in zwei Bänden erschienenen Briefteil (Band V) auch die Bände I und III fertigzustellen und der Öffentlichkeit zu übergeben, ist in hohem Maße Heinz Dürrs Verdienst. Es schmerzt, dass er die unmittelbar bevorstehende Fertigstellung des Abschlussbandes IV nicht mehr erleben konnte, aber sagen lässt sich schon jetzt: Ohne dieses Engagement wäre die Edition ein Torso geblieben und hätte die Rathenau-Gesellschaft ihr selbstgestecktes Ziel verfehlt, Walther Rathenau ein ideelles Denkmal an der Seite seiner Zeitgenossen wie Max Weber und Ernst Troeltsch zu setzen, das der historischen Bedeutung des Industriellen, Intellektuellen und Staatsmanns Walther Rathenau gerecht wird.
Heinz Dürrs Tod reißt eine nicht zu schließende Lücke in die Tätigkeit der Walther Rathenau Gesellschaft. Wir verneigen uns vor der Leistung unseres langjährigen Vorsitzenden und zuletzt Ehrenvorsitzenden, er hat sich um das Andenken an Walther Rathenau verdient gemacht.
Martin Sabrow
Vorsitzender der Walther Rathenau Gesellschaft
1. Dezember 2023